Kosmetik im 19. Jahrhundert: Haarentfernung

Wer denkt, dass Frauen früher weniger Aufwand betrieben haben, um sich Körperhaare zu entfernen, wird mit diesem Artikel eines besseren belehrt. Fakt ist: Es war schon immer schmerzhaft und nervig, Haare zu entfernen. Hier ist ein entsprechender Artikel aus „Der Bazar“, 1897:

Haarentfernungsmittel, die auf der Stelle und dauernd helfen, giebt es zwar, außer dem elektrolytischen Verfahren, das nur der Arzt anwenden kann, nicht. Dennoch giebt es zahlreiche Mittel, um Haare auf kürzere Zeit zu entfernen, als solche, die den Haarwuchs befördern. Die mechanischen Mittel unter ihnen sind zum Teil barbarischer Art. Am gelindesten ist das Abreiben mit Bimstein und das Absengen. Letzteres wurde schon im Altertum mit heißen Nußschalen ausgeführt. Danach ist das gewaltsame Ausreißen der einzelnen Haare mit sogenannten Gilienpincetten zu nennen und endlich eine ziemlich schmerzhafte Prozedur, die darin besteht, daß die zu enthaarende Stelle mit einem stark klebenden Pechpflaster bedeckt und dieses, sobald die Haare daran angeklebt sind, schnell entfernt wird; es werden hierbei sämtliche Haare mit ihren Wurzeln auf einmal ausgerissen.

Größere Bedeutung als die mechanische Methode haben für die Kosmetik die chemischen Mittel. Doch auch unter diesen giebt es, obwohl sie in chemischem Sinne alle miteinander verwandt sind, eine große Auswahl. Die einen wirken schnell (in zwei bis fünf Minuten), die anderen langsam (in zehn bis dreißig Minuten). Berühmte Aerzte verschiedener Nationen haben eigene Zusammensetzungen solcher Mittel angegeben. Sämtliche in Vorschlag gebrachten Substanzen wirken in der Weise, daß die Haare schneller oder langsamer unter Verlust ihrer natürlichen Farbe aufquellen und in eine weiche getalinöse Masse verwandelt werden, die man nach beendeter Einwirkung zugleich mit dem dreiförmig aufgetragenen Haarentfernungsmittel durch Abschaben entfernen kann. Man hat darauf die Haut reichlich mit lauwarmem Wasser abzuwaschen und dann, besonders wenn die Anwendung im Gesicht geschah, nach sorgfältigem Trockentupfen mit Verbandwatte (nicht reiben!) die Haut mit Mandelöl, Goldcream oder Vaselin einzufetten. Das Dr. Böttgersche Depilatorium enthält außer 30 g Strontiumsulfid, sowie 10 g Zinkoxyd und 10 g Stärkemehl noch 1/2 g Menthol zur Verminderung der Reizwirkung auf die Haut. Man soll es bis zehn Minuten lang liegen lassen können, d.h. bis das leichte Jucken, das sich nach der Anwendung bemerkbar macht, in schmerzhaftes Brennen übergeht. Das bekannte und sehr verbreitete Antikrinin von Dr. J. Perl scheint ähnlich zusammengesetzt zu sein, soll aber nur vier bis höchstens sechs Minuten auf der Haut liegen bleiben. Andre Depilatorien sind mit Calciumsulfid, Arsensulfid oder Bariumsulfid anstatt mit Strontiumsulfid zusammengesetzt.
Großer Wert ist auf die völlig tadellose, trockene und fein pulverisierte Beschaffenheit der genannten Substanzen zu legen, da diese durch langes Lagern unwirksam werden oder, wenn sie zu grob gepulvert sind, die Haut unnötig reizen.

Die genannten Chemikalien werden nur in sehr wenigen Fabriken hergestellt und lassen sich nicht offen auf Lager halten, weshalb man sie in Detaildroguenhandlungen nur selten käuflich wird erhalten können. Das Strontiumsulfid z. B. wird nur in einer Fabrik (Th. Schuchardt in Görlitz) und das weiter unten erwähnte Bariumsulfid nur in vier Fabriken (Chem. Fabrik a. Akt. vorm. E. Schering in Berlin; Aktiengesellsch. für Chem. Industrie in Mannheim; E. de Haen in List vor Hannover; Königswarter-Ebell in Linden vor Hannover) hergestellt. Drei Berliner Droguenhandlungen befassen sich mit dem Vertrieb des letzteren (J. D. Riedel, Theodor Teichgräber und J. G. Braumüller u. Sohn). Eine Mischung aus einem Reil Bariumsulfid (technisches, auf feinste gepulvertes) mit fünf Teilen kohlensaurem Kalk hat sich nach neueren Untersuchungen von O. Heller als dasjenige Mittel herausgestellt, das nicht allein in vier bis sechs Minuten prompt und sicher wirkt, sondern auch von allen in Betracht kommenden Substanzen die Haut am wenigsten reizt, ja nicht einmal vorübergehend röten soll.

Zum Schluß sei nochmals betont, daß alle chemischen Entharungsmittel bei einmaliger Anwendung nur vorübergehend wirken, d. h. die Haare wachsen nach einiger Zeit wieder nach, weil ihre Wurzeln bei einmaliger Anwendung nicht mit zerstört werden. Erst durch wiederholte Applikation wird dann in der Regel eine Anätzung der Haarbälge mit herbeigeführt und dadurch allmählich erst das Wiederwachen der Haare vereitelt. Das einzige künstliche Mittel, das sicher und sofort die definitive Entfernung des Haarwuchses herbeiführt, ist, wie zu Anfang erwähnt, die nur von Aerzten auszuführende Epilation auf elektrolytischem Wege.
Dr. H.

Interessant finde ich, dass Rasierapparate offenbar gar nicht in Frage kommen. Lieber zerstört man sich die Haut mit Chemikalien als einfach ab und zu rasieren? Wobei wir uns ja auch heute noch Haut und Haare mit Chemie zerstören – viel geändert hat sich also nichts.

 

Bild: aus „Das Album 1898“

One comment

  1. Sarah

    Interessanter Beitrag über die Kosmetik im 19. Jahrhundert. Ja, es stimmt, dass Rasierapparate nicht in Frage kommen. Die hatte man früher doch auch?

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